Hildegard von Bingen (1098–1179) ist unter anderem bekannt für zwei große naturwissenschaftliche Werke, geschrieben zwischen 1150 und 1158. In Physica geht es um die Heilkräfte von Pflanzen, Elementen, Bäumen, Steinen, Tieren und Metallen, während Causae et curae über die Entstehung, Prävention und Behandlung von Krankheiten berichtet. Sie wurden in einem Manuskript gesammelt, das in einem Transkript aus dem 14. Jahrhundert erhalten wurde. Das Manuskript wurde 1858 in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen gefunden.
HILDEGARD VON BINGEN
Hildegard war Nonne und Mystikerin und hatte schon als Dreijährige Visionen von übernatürlichem Charakter. Mit 8 Jahren kam sie in das Benediktinerkloster auf dem Disibodenberg bei Kreuznach. Hier wurde sie von der Einsiedlerin Jutta von Sponheim ausgebildet, die sie unter anderem in Planzenheilkunde und Krankenpflege unterrichtete. Hildegard legte als 16-Jährige das Klostergelübde ab und wurde 1136 als Juttas Nachfolgerin zu Äbtissin gewählt. 1147 wurde Hildegard von Papst Eugen III als Prophetin anerkannt, nachdem der Papst nach Bernhard von Clairvaux‘ Vermitlung Hildegards Visionen geprüft und anerkannt hatte. Jetzt wurde sie von Äbten und Abtissinnen, Adligen und Laien aufgesucht, die um ihre Fürbitte und um ihre Ratschläge zu Politik, Theologie, Krankheit und Heilung baten. Hildegard wurde trotz Widerstand ein Status verliehen, der für eine Frau zu dieser Zeit sehr ungewöhnlich war. Aufgrund der vielen Besuche baute sie 1150 ein neues Kloster auf dem Rupertsberg bei Bingen und 1165 ein weiteres Kloster in Eibingen bei Rüdersheim. Sie wurde im Jahr 1326 seliggesprochen aber erst im Jahr 2012 heiliggesprochen.
HILDEGARDS SICHT AUF DIE GESUNDHEIT
Hildegard kannte die Lehre von Hippokrates (um 400 v. Chr.), wie Krankheiten auf ein Ungleichgewicht der 4 Körpersäfte Blut, gelbe Galle, schwarze Galle und Schleim zurückzuführen sind. Und sie schuf ein umfassenderes System, in dem jeder Teil des Körpers zusammen mit Monaten, Elementen, Eigenschaften, Lebensaltern, Seelenleben und Gnadengaben “gelesen” wurde. Gesundheit war der Ausdruck von Viriditas, der Grünkraft, mit der das Geschöpf „ihren Schöpfer ansieht wie die Frau den Mann, den sie liebt.“ Hildegard war eine hervorragende Naturärzin, die bei ihren Behandlungen Augendiagnostik, Aderlass und Diät einsetzte. Und sie verwendete eine Anzahl orientalischer Gewürze, Kräuter wie Fenchel, Petersilie und Brennnessel, aber auch Medikamente wie Abrieb von Gänseschnäbeln und Gänsefüßen. Sie verwendete sie in Kräutertees, Wein, verschiedenen Arten von Sirupen, Ölen, Salben, Pulvern, Pillen und Veihrauch. Sie fügte sie zum Essen und Kuchen hinzu. Edelsteine und Mineralien waren auch in ihrer Medizin enthalten. Die Klosteroffizinen (Apotheken) waren mit Pflanzen gefüllt, deren Bewahrung und Verwendung umfangreiches Wissen erforderte.
DIE VISIONEN
Hildegards Wissen über Krankheit und Medizin stammte aus einer umfassenden praktischen medizinischen Erfahrung. Aber Hildegard sah “im lebendigen Licht” den Zusammenhang aller Dinge: “In der gesamten Schöpfung, in den Bäumen, Pflanzen, Tieren und Edelsteinen gibt es Kräfte, die kein Mensch wissen kann, wenn sie ihm nicht von Gott offenbart werden.” Sie schrieb Scivias (1150) über die Wege zu Gott mit 35 Illuminationen und das Liber Divinorum Operum über das gesamte kosmische Werk Gottes (1173) mit 10 Bildern, die Hildegards Visionen zeigen. Hildegard hörte während ihrer Offenbarungen die schönste Musik und schrieb u.a. das große Musikdrama Ordo Virtutum, das den Weg der Vereinigung des Menschen mit Gott veranschaulicht.